Die Natur hat mich in die Zange genommen - und sie hat gesiegt. Ich bin geschafft. Windstärke 4, in Böen 5 und das direkt von Nord - das heißt direkt von vorn. Nach 25 Kilometern war dann Schluss, die Kraft spielte nicht mehr mit.

Eigentlich begann der Tag ganz vielversprechend. In Breisach frischte der Wind zwar schon auf, aber die Sonne schien, ich war ausgeruht und zog fröhlich an den ersten Passagierschiffen, die angeleint am Ufer lagen, vorbei. Dann kam die erste Kurve und ich dachte: 'Holla, das sieht ja aus wie auf der Unterweser bei kräftiger Brise.' Schöne, kräftige Wellen von vorne, der Wind bläst ins Paddel, sodass man es festhalten muss. Und in der Mitte des Rheins zeigen sich die ersten Schaumkronen. Zunächst genoss ich das Wind- und Wellenspiel. Die Strömung war kräftig und die erste Stunde brachte einen mutmachenden Schnitt von 9 Stundenkilometern. Meinen heutiges Ziel Ottenheim in 48 Kilometer Entfernung, das ich mir wegen der zu erwartenden Strömung vorgenommen hatte, schien so gut erreichbar. Die Schifffahrtsstraße verläuft hier abwechselnd im Rheinbett und vor den Schleusen jeweils einige Kilometer in begradigten Kanälen. Die wollte ich heute auch nehmen, sodass ich in den verbleibenden Tagen vorraussichtlich Karlsruhe bei Kilometer 360 erreichen könnte.

Doch es kam anders. Zwei Kilometer vor Marckolsheim, der ersten Schleuse, stand das Wasser und nun hieß es ohne Strömung gegen den Wind die Schleuseneinfahrt erreichen. Es kann schon sehr frustrierend sein, wenn man die Schleuse schon vor sich sieht, aber ein Blick zum Ufer den Nachweis erbringt, dass man sich nur langsam Meter für Meter vorwärts kämpft. Noch ein Kilometer und ich sehe, dass ein Schiff gerade in der Schleuse flussabwärts festmacht. Ob ich es noch erreiche, um mitgeschleust zu werden? Wer weiß, wann das nächste Schiff kommt! Noch 500 Meter ... und das Schleusentor schließt sich. Ich fluche. Entweder hat man mich nicht gesehen oder der Schiffskapitän hatte es sehr eilig. Ich lasse erstmal das Paddel fallen. Ran ans Ufer und Pinkelpause machen.

Schließlich setze ich mich wieder ins Boot, krame mein Handy heraus und rufe unter der in der Wasserkarte angegebenen Nummer den Schleusenmeister an. Ja, ob ich denn mein kleines Boot nicht eben umtragen will? Ich erkläre ihm, dass es ziemlich schwer und die Verhältnisse zum Aussetzen nicht gerade günstig sind. Ich habe einfach keine Lust, nach der Plackerei nun auch noch die Schleuse zu umtragen. Ich könne mit dem nächsten Schiff schleusen, müsse mich aber bis zu einer Stunde gedulden. Außerdem müsse ich eine Schwimmweste in der Schleuse tragen. Die trage ich ohnehin auf der ganzen Tour, denn ich bin allein unterwegs und da geht man kein Risiko ein.

Also noch mal kräftiger Zeitverlust. Dann kommt aber recht bald ein Schiff, offensichtlich ein holländischer, zum Wohnschiff umgebauter ehemaliger Lastkahn. Der war mir vorher schon hinter Breisach am Ufer liegend wegen der vielen Pflanzen, die in Kübeln auf dem ganzen Deck verteilt waren, aufgefallen. Sogar ein Baum wächst darauf!

Der Kapitän winkt mir ihm in die Schleuse zu folgen und ich beeile mich hinterher zu paddeln. Noch nie habe ich eine Schleuse sich so schnell entleeren erlebt. Es geht fast wie im Fahrstuhl etwa 10 Meter nach unten. Man merkt, dass diese Schleusen für den Schiffsverkehr, der hier viele Schleusen passieren muss, optimiert sind. Kaum ist der Schiffskahn, der fast die ganze Breite der Schleuse einnahm, aus der Schleuse und ich muss schon in der Schleuse gegen heftigen Wind kämpfen, um überhaupt raus zu kommen.

Der Rhein hat es heute wirklich in sich. Im Unterwasser der Schleuse heißt es weiter ohne Strömung gegen Wind und Wellen vorwärts kämpfen. Auch ohne Schiffe gibt es hier starken Wellengang und die eine oder andere lässt meine Bootsspitze eintauchen und verpasst mir eine Dusche. Das macht mir zum Glück nichts aus, denn Wellen und Gischt mag ich sehr. Immerhin fahre ich ja ein Seekajak und das kann jetzt seine Vorteile ausfahren. Schön lang reitet es die Wellen aus, das Kurshalten fällt viel leichter als in einem kleineren Wanderboot.

Dennoch merke ich wie die Sache in richtige Schwerarbeit ausartet. Der Wind nimmt noch zu und da er direkt von vorne kommt, gibt es auch keine windgeschützte Uferseite. Als ich einen kurzen Halt am linken Ufer mache und mir meine Paddeljacke anziehe, versuchen zwei Wohnmobilfahrer mit mir zu sprechen. Aber der Wind trägt unsere Worte fort und so bleibt es beim freundlichen Zuwinken.

Auf der Strecke zum nächsten Schleusenkanal wird mir klar, dass es heute nicht mehr viel weiter geht. Meine Kräfte lassen bereits nach. Auf der Höhe Weisweiler kommt ein Motoryachtclub in Sicht. Ich lande am Bootssteg an und steige aus. Ein freundlicher Yachtbesitzer erklärt mir, dass ich zwar hier nicht bleiben kann. Aber hundert Meter weiter sei eine Gemeindewiese, auf der immer mal wieder Paddler übernachten.

Ich fahre dort hinüber und sehe einen vielversprechenden Kiosk mit Kaffee und Kuchen. Also erstmal das Boot aus dem Wasser und zur Wiese gerollert. Ich ziehe mir schnell was Wärmeres an und gehe einfach Kaffeetrinken. Gestärkt und etwas erholt baue ich dann mein Lager auf. Ein Gemeindeaufseher kommt mit seinem Geländewagen vorbei und ruft rüber: "Junger Mann, hier ist Zelten verboten!" Ich erkläre ihm die Situation und er willigt ein, dass ich heute nacht hier bleiben kann. Aber morgen früh sei ich doch sicher wieder weg? Ich bedanke mich höflich bei ihm (innerlich freue ich mich über den "jungen Mann").

Ich packe meine Karten aus und überdenke meine Planung. Selbst wenn der Wind morgen abnehmen sollte, ist Karlsruhe nicht mehr in der Zeit zu erreichen. Aber ich hatte mir ja sowieso das Ziel offen gelassen. Ich teile meine nächsten Tagesrouten etwas bescheidener neu ein und entscheide mich für Straßburg als Ziel. Das ist bei Kilometer 295, zusammen mit meinen ersten Kilometern vor Konstanz wären es dann glatt 300 Kilometer, die ich dann gepaddelt bin. Ist doch auch ne schöne Zahl.

Heute kommt mein mitgenommenes Autan zum Einsatz. Auf der Wiese gibt es ganze Schwärme von kleinen, fiesen Stechmücken. Die mögen mein Autan aber überhaupt nicht und so bleibe ich unbehelligt. Meine Ausrüstung hat sich bislang sehr gut bewährt. Die einzigen drei Dinge, die ich bislang überhaupt nicht brauchte, waren meine Gaslampe, meine Ersatztaschenlampe und mein Taschenmesser. Alles andere passte gut. Sogar mein Multiwerkzeug war bei der notwendigen Reparatur meines Stuhles sehr nützlich.

Ein reichhaltiges Nudelabendessen am Zelt und ein leckeres Bier am Kiosk zusammen mit einem Bilderbuch-Sonnenuntergang lassen den Tag dann doch noch in einem inneren Lächeln zu Ende gehen.